Ein unvermeidbarer Moment, von Susann DeCuir

(Seit vielen Monaten ging mir diese Geschichte nicht mehr aus dem Kopf. Ich schrieb, löschte, schrieb erneut, löschte wieder und heute ist es mir endlich gelungen sie so zu verfassen, dass ich damit zufrieden bin.)

Ein unvermeidbarer Moment

Sie saß wie jeden Samstagabend am Wohnzimmerfenster, ihr Blick auf den gegenüberliegenden Parkplatz gerichtet, um seine Ankunft zu beobachten.

Ihr Körper passte perfekt in die Mulden des alten Ledersessels, den sie eine kleine Ewigkeit ihr Eigen nannte. Sie wirkte zutiefst erschöpft. Tiefe, schwarze Ringe umgaben ihre Augen, die eingefallenen Wangen und der stumpfe Blick waren die klaren Zeichen dafür. Ihre faltigen Hände ruhten ruhig auf den Lehnen.

Plötzlich spannte sich ihr Körper. Kaum merklich presste sie den Rücken durch und streckte sich. Ihre Augen begannen zu leuchten. Er war da.

Sie sah, wie sein Auto einbog, wie er ausstieg und einen kurzen Blick zu ihrem Fenster hinaufwarf. Dann wandte er sich dem Eingang zu. Doch etwas war heute anders.

Er ging nicht zügig, wie sonst, sondern schleppend. Es wirkte, als würde er die Ankunft in ihrer Wohnung hinauszögern. „Es ist wohl so weit“, hauchte sie leise in die Stille des Zimmers.

Sie hörte, wie der Schlüssel im Schloss knirschte und er in den Vorraum trat. Dann das leise Wegschieben seiner Schuhe. Kurz darauf vernahm sie das sanfte, vertraute Klirren von Metall. Es war sein Halsband, das aus dicken Gliedern bestand und sich lose um seinen Hals schmiegte. Vor fünfzehn Jahren hatten sie es zusammen ausgesucht, wo, fiel ihr schon lange nicht mehr ein.

Auch diese Rituale vollzog er langsamer und zögerlicher, als sie es gewohnt war.

Schließlich betrat er das Wohnzimmer und blieb stehen. Seine Augen blickten sie an, nicht mit der gewohnten freudigen Erwartung, sondern kummervoll und traurig.

Sie betrachtete ihn nur und neigte den Kopf, eine knappe Geste, die ihm befahl, näherzukommen. Das musste sie sonst nie tun. Mit gesenktem Kopf ging er langsam auf sie zu, sank ebenso langsam zu Boden, umschloss mit seinen kräftigen Armen ihre Beine und legte seinen Kopf in ihren Schoß.

„Guten Abend, meine Herrin“, kam es gebrochen über seine Lippen.

Sie sah hinab, legte ihre rechte Hand auf seinen Kopf und begann ihn sanft zu streicheln. „Was bekümmert dich?“, fragte sie ihn mit ihrer gewohnt kühlen, aber diesmal leicht heiseren Stimme.

Er richtete sich auf und sah sie direkt an. „Darf ich offen sprechen?“

Sie nickte leicht. Ihre Hand lag wieder auf der Lehne, ihr Blick wurde milder, und darin lag etwas Tiefes, Wissendes.

„Meine Herrin, ich habe jemanden kennengelernt.“ Er kam sofort auf den Punkt, so wie sie es ihm beigebracht hatte. „Diese Frau hat Interesse daran, mich als ihren Slave zu gewinnen. Sie ist um die dreißig, hat ein eigenes Studio und möchte mich in ihre Arbeit integrieren. Es wäre etwas Neues, Aufregendes und Spannendes.“

Ihr Blick hatte sich nicht verändert. Er hingegen wurde nervöser, seine Augen zeigten eine fast schon fiebrige Erwartung. „Ich würde dieses Angebot gerne annehmen und bitte Sie daher um Freilassung.“

Nun war es ausgesprochen. Die Worte, die sie erwartet hatte, seit sie ihn auf dem Parkplatz beobachtet hatte.

Sie ließ ihren Blick nach draußen in die Ferne gleiten. Eine Art Traurigkeit überfiel sie, eine Schwere, die sie seit Jahren nicht gespürt hatte. Er bemerkte es nicht, denn ihr Gesicht blieb kontrolliert und ihr Blick kühl. So, wie sie es wollte.

Eine kleine Ewigkeit verging. Er wusste, er hatte zu warten. Er kannte solche Situationen, wo seine Herrin sich Zeit nahm, nachzudenken. Momente, die er immer geliebt hatte.

Sie drehte ihren Kopf zu ihm. Er senkte sofort seinen Blick.

Es war wieder dieser überwältigende Moment, in dem er das Machtgefälle bis in die letzte Faser seines Körpers spürte. Er spürte ihre Präsenz, mit einer Intensität, die er nur bei ihr erleben durfte.

Dann sprach sie. Leise, kühl, in knappen Sätzen. „Die vielen Jahre mit dir habe ich sehr genossen. Du darfst gehen. Du bist frei.“

Er zuckte kurz zusammen. Gleichzeitig durchfuhr ihn ein wildes Glücksgefühl, und seine Gedanken eilten schon zu dieser jungen Frau, deren Ausstrahlung er nicht widerstehen konnte.

„Danke. Vielen, vielen Dank.“

Während er diese Worte sprach, stand er auf und ging in Richtung Vorraum.

Dort kniete er sich wie gewohnt auf den Boden, um noch ein letztes Mal ihre Schuhe zu sortieren, so wie sie es mochte. Die wenigen High Heels standen in der hinteren Reihe. Vorne, seit geraumer Zeit, nur noch bequeme Gesundheitsschuhe.

Ein Seufzer entfuhr ihm, als er fast zärtlich und liebevoll alle Schuhe in dieselbe Richtung ausrichtete.

Dann stand er auf, löste das Halsband und legte es in die kleine Kristallschale auf der Kommode, da, wo es immer lag, um auf ihn zu warten. Daneben kam der Wohnungsschlüssel zu liegen.

Er drehte sich um, um nach ihr zu sehen. Sie saß nun etwas tiefer im Sessel versunken, aber ansonsten unverändert. Ihre Blicke trafen sich an diesem Abend ein letztes Mal.

In diesen Augenblick erkannte er, dass sie wusste, dass er wieder kommen würde ...

© Geschrieben von Susann DeCuir  

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