Der Avatar als Spiegel der Seele

Daemonika schreibt ab und an Texte für meinen Blog, ihr findet sie gesammelt hier. Diesmal formulierte sie ihren Gedanken zum Thema Avatare in Second Life. Ausgangspunkt war eine kleine, sehr schöne Diskussion im Café SCHLAGfertig, wo wir sonntagmorgens zusammen Kaffee trinken. Ich warf die Frage in den Raum, ob es möglich sei, sich in einen Avatar zu verlieben, nachdem mir jemand, den ich nicht kenne, offenbart hat, dass er sich in meinen Avatar verliebt hätte, also nur in die Pixelfigur. Für mich ist das unheimlich, den es vermittelt mir das Gefühl, dass sich derjenige völlig in der Pixelwelt verliert. Hier nun die Gedanken von Daemonika:

Zitat

„Der Avatar ist der Spiegel der Seele.“
Niemand erstellt einen Avatar, mit dem er sich nicht identifiziert. Jede virtuelle Darstellung ist Ausdruck innerer Werte, Wünsche oder Persönlichkeitsmerkmale, bewusst oder unbewusst. In Second Life wird sichtbar, was im realen Leben verborgen bleibt: die Essenz deiner selbst.
 

"The avatar is the mirror of the soul."
No one creates an avatar they do not identify with. Every virtual representation is an expression of inner values, desires, or personality traits, conscious or unconscious. In Second Life, what remains hidden in real life becomes visible: the essence of yourself.

Quelle: Profil Daemonika Nightfire

Ja, das Zitat stammt aus meinem eigenen Profil und ich bin wirklich davon überzeugt. Ich möchte dabei nicht auf technische oder finanzielle Möglichkeiten eingehen, weil das nur eine untergeordnete Rolle spielt. Vielmehr möchte ich meine Aussage „Spiegel der Seele“ begründen.

„Der Avatar ist der Spiegel der Seele.“ Diese Aussage trifft meiner Meinung nach den Kern dessen, was virtuelle Identitäten im digitalen Raum bedeuten. Niemand erstellt einen Avatar, mit dem er sich nicht in irgendeiner Form identifiziert. Jede virtuelle Darstellung ist Ausdruck innerer Werte, Wünsche oder Persönlichkeitsmerkmale, ob bewusst gewählt oder unbewusst projiziert.

Avatare sind keine zufälligen Masken, sondern Stellvertreter deines Selbst. Selbst dann, wenn jemand behauptet, der eigene Avatar sei „nur Spaß“ oder „nicht ernst gemeint“, offenbart diese Entscheidung dennoch etwas über die Person. Sie kann Humor, eine gewisse Distanz zum realen Selbst oder den Wunsch nach Provokation zum Ausdruck bringen. In den meisten Fällen jedoch zeigt der Avatar, was im realen Leben verborgen bleibt: das eigentliche Wesen, die Sehnsüchte und Vorstellungen, die im Alltag oft keinen Raum finden.

Gerade Second Life verdeutlicht dies sehr stark. Hier können Menschen frei gestalten, ohne die Zwänge von Herkunft, Aussehen oder gesellschaftlichen Erwartungen. Wer sich für ein elegantes, ästhetisches Erscheinungsbild entscheidet, vermittelt damit ein bestimmtes Ideal. Wer einen grotesken, düsteren oder provokanten Avatar erschafft, drückt eine andere Haltung, ein anderes Selbstbild oder auch eine innere Dunkelheit aus. Der Avatar wird so zu einem Spiegel, der Facetten sichtbar macht, die im Alltag oft verschwiegen oder unterdrückt werden.

Darum finde ich es enttäuschend, dass in Second Life das Individualisieren von Avataren durch viele Contentanbieter erschwert oder sogar verhindert wird. (siehe Individualismus in Second Life)

In Diskussionen taucht jedoch immer wieder die Aussage auf, es sei „oberflächlich, den Charakter aufgrund des Aussehens zu beurteilen“. Im Grundsatz stimmt diese Kritik. Doch sie blendet aus, dass genau dieses Verhalten ein Stück menschlicher Natur ist. Der erste Eindruck, der über Äußerlichkeiten entsteht, war und ist ein überlebenswichtiger Mechanismus. Schon in der Frühgeschichte mussten Menschen in Sekunden entscheiden, ob ein Gegenüber Freund oder Feind, Gefahr oder Verbündeter sein könnte. Diese Fähigkeit, anhand von Signalen, Symbolen oder Körpersprache blitzschnell zu urteilen, hat das Überleben gesichert.

Und auch heute ist diese Instinkthandlung nicht verschwunden. Im Gegenteil, sie wirkt nach wie vor. Man muss gar nicht weit in die Vergangenheit blicken: Ein Blick in aktuelle Nachrichten verdeutlicht, wie wichtig es sein kann, Situationen, Menschen oder Symbole in Sekundenbruchteilen zu deuten, um Gefahren frühzeitig zu erkennen. Dass wir also auch im virtuellen Raum unbewusst Rückschlüsse aus der Erscheinung eines Avatars ziehen, ist kein Fehler, sondern schlicht Teil unserer menschlichen Natur.

Es kann sich hinter jedem Avatar überraschenderweise sowohl Positives als auch Negatives verbergen. Es kann sich herausstellen, dass die Person völlig anders ist, als der Avatar zunächst vermuten ließ. Doch in jedem Fall sehen wir zuerst nur den Avatar, und uns bleibt nichts anderes übrig, als diese virtuelle Gestalt kennenzulernen, um die Person dahinter einschätzen zu können. Alles in allem entscheidet der erste Eindruck darüber, ob es überhaupt zu einer Kontaktaufnahme kommt.

Obwohl das Erscheinungsbild eines Avatars jederzeit vollständig geändert oder sogar gewechselt werden kann, ist mir gerade bei älteren Avataren aufgefallen, dass sie ein stark personalisiertes Erscheinungsbild besitzen, das es ermöglicht, sie auch ohne Namen über dem Kopf wiederzuerkennen.

Mein Fazit lautet daher: Avatare sind weit mehr als digitale Hüllen. Sie sind Projektionsflächen für das innere Selbst, Ausdruck bewusster Entscheidungen und unbewusster Wünsche. In ihrer Gestaltung wird sichtbar, was Menschen im realen Leben nicht offenbaren können oder wollen. Zugleich greifen wir beim Betrachten automatisch auf jahrtausendealte Muster zurück, die uns lehren, vom äußeren Bild Rückschlüsse auf den Charakter zu ziehen. Oberflächlich mag es wirken, doch es ist ein zutiefst menschlicher Reflex – und im virtuellen wie im realen Raum gleichermaßen unvermeidlich.

LG
Dae

Kommentare

  1. Die Anziehungskraft des Avatars

    Ich bin der festen Überzeugung, dass man sich von einem Avatar angezogen fühlen und tiefe Sympathie für ihn entwickeln kann. Diese Faszination speist sich aus einer Kombination von drei entscheidenden Faktoren: der Erscheinung des Avatars, seiner Art der Kommunikation und seinem Profil. Alle drei Elemente sind es, die das Interesse des Gegenübers wecken.

    Durch die Gestaltung und das Auftreten des Avatars verleiht man ihm erst eine Seele. Diese Seele ist ein Mosaik aus einem Stück von sich selbst, einem Teil der eigenen Fantasie und einem Hauch des momentanen Zeitgeists. All das verschmilzt mit den persönlichen Werten und Vorlieben des Gestalters.

    Avatare sind wie kleine Pralinen – man weiß nie, was die Füllung bereithält. Und so ist das SL-Leben (Second Life oder generell virtuelles Leben) tatsächlich wie eine Schachtel Pralinen: Man weiß nie, was man kriegt. (Vielen Dank, Forrest Gump, für diese zeitlose Weisheit!) (KI-korrigierter Text ^^)

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  2. Zitat: Diese Faszination speist sich aus einer Kombination von drei entscheidenden Faktoren: der Erscheinung des Avatars, seiner Art der Kommunikation und seinem Profil … Perfekt formuliert. :-)

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